Heinrich Winklers Geschichte
Bäcker seit 80 Jahren
Wir treffen uns mit Heinrich und Elfriede in der alten Winkler Backstube am Heindlkai – direkt an der schönen Donau. Dort wo alles begann, dort wo die Familie Winkler schon seit vier Generationen die Bäckerei betreibt. Wir wollen die Geschichte hinter der Bäckerei Winkler wissen, wie Heinrich damals gemeinsam mit seiner Frau Elfriede den Betrieb von seinem Vater Johann übernahm, weiterführte und nach der Kriegszeit neu aufbaute.
Mein Vater kam erst 1948 von der Kriegsgefangenschaft nach Hause. In der Zwischenzeit war der Bäckereibetrieb geschlossen und heruntergekommen. Ich half damals mit, den Betrieb wieder aufzubauen, erzählt uns Heinrich. Wir hatten kein fließendes Wasser in der Backstube. Die Wasserleitung legte mein Vater selbst von dem Haus auf der anderen Straßenseite in die Backstube. Noch heute fährt die Bäckerei Winkler Gai – allerdings nicht mehr mit dem Fahrrad. Von Montag bis Samstag trifft man den Winkler-Bus mit frischen Köstlichkeiten aus der Backstube an verschiedenen Orten in der Region.
Wie war es damals als Bäcker?
Die Zeiten waren bestimmt nicht leicht. Anfangs bin ich jeden Tag bevor die Schule anfing mit dem Rad ausgefahren – ich war 11 Jahre alt. Ich kann mich erinnern, dass ich einen Buckelkorb mit Brot hatte, der so schwer war, dass ich ihn fast nicht allein hochheben konnte. Mit großem Buckelkorb, vorne zwei Taschen und noch einem Rucksack voller Brot am Gepäckträger fuhr ich aus. Sommer wie Winter. Ich weinte oft, weil ich so gefroren habe.
Um wie viel Uhr bist du morgens ausgefahren?
Als Schüler bin ich um 5 Uhr losgefahren, denn ich musste ja danach rechtzeitig in der Schule sein. Später, in meiner Lehrzeit fuhr ich um 6 Uhr los und kam mittags wieder heim. Ich hatte in der Früh auch immer das Brot vom Vortag mit. Die Leute, die frisches Brot wollten, belieferte ich nachmittags noch mal. Auch Lebensmittelgeschäfte und andere Wiederverkäufer belieferte ich, meistens jedoch Privatpersonen. Zu den Wiederverkäufern musste ich oft mehrmals täglich hinfahren – bei jedem Wetter. Manchmal war ich so nass, dass meine Mutter nicht mehr wusste, was sie mir noch anziehen sollte.
Wann habt ihr das erste Auto bekommen?
Wir bekamen erst 1954 das erste Auto. Ab da ging alles leichter – dafür war ich gut trainiert, sagt Heinrich mit einem Lachen.
Konnte sich damals nach dem Krieg jeder das Brot vom Bäcker leisten?
Die meisten konnten es sich leisten. Und die Bauern haben eigentlich alle selbst gebacken. Es gab auch bei uns meistens nur zwei bis drei Sorten zur Auswahl.
Gab es damals auch noch andere Bäcker in Mauthausen?
Die Konkurrenz war ziemlich groß, es gab damals gesamt sieben Bäckereien in Mauthausen. Heute sind wir die Einzige.
Wann bist du komplett in den Betrieb mit eingestiegen?
Im Jahr 1952 fing ich im Alter von 15 Jahren an, im Betrieb als Lehrling zu arbeiten. Wir hatten ein Mal pro Woche Schule, ansonsten sind wir jede Nacht in der Backstube gewesen und haben gebacken. An den Samstagen haben wir oft schon um 23:00 Uhr angefangen zu arbeiten. Sonntags war immer geschlossen.
Wie unterschied sich das Bäckerhandwerk im Gegensatz zu heute?
Der Ofen war mit Holz zu beheizen, darin haben wir das Brot gebacken. Wir konnten ca. 30 Kilo Brot pro Durchgang backen, dazwischen musste man ständig nachschüren, um die Hitze aufrecht zu erhalten. Die Temperatur und Zeit mussten geschätzt werden, da es keine Anzeige gab – es erforderte viel Fingerspitzengefühl. Wenn man dann nach dem Mittagessen fertig war, musste man das Holz für den nächsten Produktionstag vorbereiten. Die Mehlsäcke haben heute nur mehr 25 Kilo – damals hatten sie 80 Kilo! Jeden Tag haben wir Lehrlinge die 80 Kilo schweren Säcke in die Backstube geschleppt.
Hattet ihr Maschinen für die Teigzubereitung?
Eine Mischmaschine hatten wir und eine Semmel-Stanzmaschine. Die Semmelmaschine funktionierte aber etwas anders als die heute – man musste jeden Teigling einzeln einlegen, die Maschine per Hand betätigen und dann den nächsten Teigling einlegen. Ansonsten wurde alles per Hand gemacht.
Gab es außer Brot auch süßes Feingebäck?
Außer Brioche und Kipferl gab es keine süßen Backwaren. Die Konditorei kam erst später dazu.
Welche Produkte von damals gibt es heute noch?
Viele Produkte werden noch wie damals hergestellt: Mohnflesserl, Semmerl, Salzstangerl, Kipferl, Hausbrot und natürlich das Opa Johann Brot nach traditionellem Rezept.
Wann kam dann ein „modernerer“ Ofen?
Mein Vater Johann hat noch den ersten Etagenofen gekauft, dieser war mit Öl beheizt – das war ein großer Fortschritt. Den zweiten Etagenofen bekamen wir dann 1978, damit konnte eine größere Menge gebacken werden. Wir hatten dann auch mehr Kleingebäck im Sortiment und konnten mehr liefern. Gaifahren und Liefergeschäft waren, gemessen am Umsatz, unsere Haupteinnahmequelle, denn die Leute waren damals noch nicht so viel unterwegs wie heute.
Wie war es dann nach der Betriebsübernahme?
1968 haben Elfriede und ich den Betrieb übernommen und umgebaut, denn der Eingang war damals ebenerdig – direkt neben der Donau! Wir hatten wirklich jedes Jahr das Hochwasser im Haus. Die Backstube war deshalb im ersten Stock und bei Hochwasser haben wir hinter dem Haus das Brot verkauft, da der Zugang vorne nicht begehbar war.
Wie viele Leute haben im Betrieb mitgearbeitet?
Heinrich: Außer meinem Vater waren noch Onkel Franz und ich. Später hatten wir dann auch Lehrlinge und Gesellen. Alle haben bei uns im Haus gewohnt, haben für Kost und Logis gearbeitet und nur wenig verdient. Elfriede erzählt uns dazu, dass die Mitarbeiter ein Teil der Familie waren: Sie haben mit uns ferngesehen und mit uns gegessen. Wenn mein Mann und ich etwas Wichtiges zu besprechen hatten, mussten wir in unser Schlafzimmer gehen, sagt sie lächelnd. Für viele war ich die Ersatzmutter, denn meistens kamen die Lehrlinge vom Land und konnten damals auch nicht so einfach nach Hause. Sie gehörten zur Familie. Die jungen Leute in Mauthausen wollten alle lieber Elektriker oder Mechaniker werden, wir fanden keine Lehrlinge aus dem Ort.
Wie war es als Bäcker – konnte man gut davon leben?
Es ging einigermaßen, aber geschenkt wurde einem Nichts, erzählt uns Elfriede. Wir haben beide immer mit Leidenschaft gearbeitet und den Betrieb gemeinsam aufgebaut. Ich war damals allein im Geschäft, mein Mann in der Backstube. Haushalt und Buchhaltung habe ich auch gemacht. Ich mochte immer schon den Kontakt zu unseren Kunden, das Verkaufen war für mich genau das Richtige.
Wann kamen weitere Geschäftsstellen dazu?
In Mauthausen haben wir eine kleine Filiale eines anderen Bäckers übernommen, das war im Jahre 1972. Dann kamen die Bäcker nach und nach in die Kaufhäuser.
Wie haben sich die Zeiten als Bäcker in den letzten 80 Jahren geändert?
Schwieriger wurde es, als in den 80er-Jahren die Supermärkte selber anfingen zu backen. Da wurden auch die Bedingungen für Zulieferer andere, wie zum Beispiel, dass man die Retourware vom Vortag zurücknehmen musste. Das gab es davor nicht. Von da an wurde das Liefergeschäft weniger und wir mussten umdenken. Wer das nicht geschafft hat, blieb meistens auf der Strecke.
Wann habt ihr dann den Betrieb an Gerhard übergeben?
Gerhard hat nicht im eigenen Betrieb gelernt, sondern in Linz bei einem anderen Bäcker. 1994 übernahm er dann den Familienbetrieb, sagt Heinrich. Gerhard meint dazu: Ja, ich musste davor schon immer am Samstag früh aufstehen und in der Bäckerei helfen. Das hat mir als Schüler nicht immer gefallen, aber mein Vater war da sehr konsequent. Als ich dann in Linz meine Lehrstelle antrat, waren die dafür glücklich mit mir, weil ich schon recht viel konnte und wusste. Meine Lehrzeit war hart, da lernte ich das Arbeiten. Ich hatte immer eine 60 Stunden Woche.
Wann hat die Bäckerei Winkler angefangen zu wachsen?
Die Größe der heutigen Bäckerei Winkler haben Antje und Gerhard aufgebaut. Wir wollten einen kleinen familiären Betrieb haben – aber wenn Antje und Gerhard so klein weitergemacht hätten, würde es die Bäckerei Winkler heute bestimmt nicht mehr geben, sind sich Heinrich und Elfriede einig. Wir sind sehr stolz auf unsere Familientradition und darauf, was Gerhard und Antje aus der Bäckerei gemacht haben. Gerhard Winkler sagt dazu: Ich bin sehr froh darüber, dass meine Eltern mich immer meinen eigenen Weg gehen ließen. Von dem Tag an, als sie mir die Bäckerei übergaben, haben sie sich zurückgezogen. Sie sind mir aber dennoch immer mit Rat und Tat zur Seite gestanden, wenn ich es gebraucht habe. Deshalb haben wir uns immer sehr gut verstanden – und dafür danke ich ihnen sehr.
